Ode an Bangkok
Vorwort
Diese kleine Story spiegelt einen großen Teil meiner Erfahrungen und Eindrücke wieder, die ich in fast 10 Jahren Erlebens und Durchlebens von Bangkoks Nightlife gesammelt habe. Bangkok ist eine Faszination, eine Faszination, die zugleich anziehend und abschreckend wirken kann. Es ist wirklich so, dass man Bangkok entweder hasst oder es liebt. Ich liebe Bangkok, denn ich habe Bangkok durch seine zahlreichen Facetten gesehen, kennen und lieben, leben und überleben gelernt!
Es ist ein gefühlsbeladener Nachtspaziergang durch ein Bangkok (Emotional Bangkok Night Stroll), wie er jeden Abend zur Stunde der untergehenden Sonne beginnen mag. Die gewählten Locations sind die großen Shopping Malls am Siam Square, Nana Entertainment Plaza und die Sukhumvit Road. Unabhängig davon sind die Eindrücke nahtlos übertragbar auf die Patpong oder die Soi Cowboy, die dem Nightlife am Nana Plaza in nichts nachstehen. Lediglich die Qualität ist eine andere.
Diese Story mag nicht unbedingt jedermanns Geschmack treffen, dafür ist sie wohl zu persönlich. Es war mir allerdings ein Bedürfnis, meine Gedanken niederzuschreiben
© Paiwan, 9. September 2003
Diese kleine Story wird Bestandteil eines Buches über Thailand, an dem ich schreibe. Erstmals wurde die Story unter meinem Pseudonym Paiwan im September 2003 veröffentlicht und unterliegt weiterhin meinem Copyright!
© KingPing alias Paiwan 21. Mai 2010
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Emotional Bangkok Night Stroll
Bangkok, Metropole Sudostasiens, fernöstliche Drehscheibe, das Venedig des Ostens. Bangkok, der Schmelztiegel aller Bedürfnisse, Sammelpunkt des Abschaums und des Glanzes, des Reichtums und der Armut, eine Metropole, von der man nur in Superlativen schwärmt oder die man verdammt als Sodom und Gomorra.
Eine Metropole, die sich tagsüber unter den Ausdünstungen ihres millionenfachen Lebens verbirgt, eine Diva, die man nur nachts ertragen kann, wenn sie sich mit den gleißenden Lichterketten des durch ihre Adern fließenden Verkehrs verziert. Blendwerk, Perlenschnüre aus roten und weißen Lichtern, die sich gleich tausendfüßiger Raupen durch die engen Straßenschluchten zwängen, umsäumt von hell erleuchteten Shopping Malls, die erfüllt sind vom hektischen Treiben nach Geltung lechzender, und Beachtung gierender Menschen jeglicher Coleur.
Bettler, gekleidet in Lumpen, die nur noch in Fetzen an den verschmutzten, ausgemergelten Körpern hängen, körperlich verkrüppelt, wie sie sich durch den Schmutz der Straßen schleppen, geistig erniedrigt vor sich selbst und dem Leben, wenn sie mit ihrem unterwürfigsten Wai einen Plastikbecher gen Himmel strecken, und mit flehendem Blick aus Augen, die in die tiefsten Tiefen des Elends geschaut haben, um spärliche Baht bitten. Alte, musizierende Menschen, die Zeit ihres Lebens oder ereilt durch Unglück gezwungen waren, die Welt ohne Licht zu erkunden, Paare, die das Durchleben eines gemeinsamen Schicksals zusammen geschweißt hat, einer sehend, der andere lichtlos, sie, die zu den geachteten unter den Ärmsten der Armen zählen, beachtet nur von denen, die diesem Boden entsprungen sind, laufen durch die Straßen und verweilen ihre ewig gleich klingenden Harmonien singend, vor einem meist desinteressierten Publikum, welches nach einem Blick in Augen, die nur noch das Weiß des Augapfels zeigen, schnell in den Taschen nach ein paar Baht wühlt, sie achtlos in den hingehaltenen Becher aus Blech fallen lässt um sich mit vermeintlich beruhigtem Gewissen wieder den in ihren Augen essentiellen Dingen des Lebens zuzuwenden.
Kleine Jungen und Mädchen, Kinder, bereits in diesem zarten Alter gezeichnet von den Härten des Lebens, Kinder, die Zeit ihres Lebens keine Kindheit erleben werden, getrieben von Eltern, für die Mitleid ein Handelsgut darstellt, überbracht von diesen kleinen Wesen mit ihren unschuldig braunen Augen, denen es versagt sein wird, einmal etwas anderes als Elend und Armut eigens zu erleben. So hasten sie mit müden Augen durch das bunte, emsige Nachtleben und zupfen mit ihren kleinen Händen an Hosen und Hemden gut gekleideter Farang. Ihre flehenden Blicke nach oben gerichtet bieten sie in ihren kleinen zu einem ehrfürchtigen Wai geformten Hände, Süßigkeiten, und Feuerzeuge feil.
Manchmal aber bricht auch die Kindheit durch, man sieht sie lachen und tollen, für einen kurzen Moment der Glückseligkeit ihr Schicksal vergessend, scherzen sie mit den großen Fremden, springen lachend um sie herum, zwicken sie und Freude und Leben entspringt urplötzlich ihren Augen, froh darüber, dass so mancher auf sie eingeht und sie Leben erleben lässt, Momente, in denen sie Kind sind und es leben. Momente, allerdings, die nur von kurzer Dauer sind, zurückgerufen durch eine scharfe Stimme aus dem Nichts, die sie ermahnt, das zu tun, weshalb man sie hierhin geschickt hat. So vegetieren sie dahin am Rande einer Welt des Glimmers, des Scheins und des Truges, eine Welt, der sie einmal dienen werden, wenn sie ihre verlorenen Kindheit hinter sich gelassen haben und in ein Zukunft mit ungewissen Ausgangs gehen.
Angezogen durch die Illusion, nein, vielmehr geblendet durch die Versprechen einer brüchigen Fassade die von der Nacht verdeckt und vom bunten Lichtermeer überstrahlt wird, fallen die, die um Almosen bitten, über die Stadt her, angelockt von der Mär des Reichtums den man hier zu erlangen hofft, Mütter, die sich mit ihren kleinen Kindern auf dem Arm ihren Weg auf der anderen Seite des Lebens durch das Nachtleben bahnen oder sich vor den hell erleuchteten Stufen des neuen Wahrzeichens von Bangkok, dem Elevated Sky Train, nieder gelassen haben, in der Hoffnung das ihr zur Schau gestelltes Elend einige aus der dahinhastenden Menge dazu veranlassen könnte, einige Baht in die von Kinderhand gehaltenen Plastikbecher fallen zu lassen Diese am wenigsten von den Einheimischen geachteten, da sie, obwohl gesund, ihre Kinder einsetzen um zu bekommen, was andere ihres Erachtens zur Genüge besitzen.
So beginnt die Nacht. In dem Moment, in dem die Sonne hinter dem westlichen Horizont verschwunden ist, kleidet sich Bangkok in sein verführerischstes Kleid, geschmückt mit Tausenden bunten, schimmernden und wogenden Lichtern, ein unvergleichliches Make-up, das nur in den dunklen Stunden seine Schönheit zu offenbaren vermag. Straßenhändler beginnen entlang der Sukhumvit Road ihre Stände aufzubauen und ihre Waren feil zu bieten. Taxen stauen sich in der Soi 4 und speien in einem nicht enden wollenden Rhythmus die Schönheiten der Nacht, die Stars in der Manege der Eitelkeiten, aus, die dann mit raschen Schritten den Orten ihres allnächtlichen Wirkens entgegenstreben, nicht jedoch ohne der Hüterin des Platzes ihre Gunst erwiesen zu haben. So verweilen sie einen kurzen Moment vor dem Schrein, übergeben ihre kleine Spende und zünden die obligatorischen Raucherstäbchen um sodann in die ihnen angestammte Bar zu entschwinden, immer in der Hoffnung, dass diese Nacht besser werde als die vorhergegangene. So ist alsbald die Luft geschwängert durch den schweren, süßlich-herben Duft hunderter Räucherstäbchen. Die ersten Gäste sind schon lange da und bevölkern die wenigen Open Bars auf dem Nana Plaza, die schon zu früherer Stunde ihre Pforten geöffnet haben, Szene-Bars, mit riesigen Fernsehern, um Gäste zu binden, die ein bestimmtes sportliches Ereignis verfolgen wollen, Meeting Point für die frühen Nachtschwärmer, die Rastlosigkeit, Gier und Trieb nach Ausgleich und Entspannung treibt.
Noch spielt sich das bunte Treiben vor den Pforten der Bars ab, vor der Playskool tummeln sich die unisono gekleideten Mädchen in ihren feschen Schuluniformen, nach und nach treffen die Kartoys aus der Obsession und der Casanova Bar ein, die mit einer weiblichen Eleganz stolz erhobenen Hauptes und schwellender Silikonpracht daherschreiten, wie es aufreizender nicht sein kann, ein krasser Gegensatz zu den schlanken, zierlichen Bargirls, die sich teilweise recht unbeholfen in ihren hochhackigen Schuhen mit eine merkwürdig anzuschauenden Stakselgang entlang der Gänge bewegen.
Viele Nutzen die Zeit noch für einen schnellen Imbiss an einem der zahlreichen Essensstände auf dem Ground Floor. Andere geben sich mit zartem Make-up den letzten Schliff, immer bemüht, schöner und attraktiver zu wirken als die Freundin neben sich, teilweise aber auch, um die Spuren, die das Leben in diesem Milieu mit scharfer Klinge in so manches zierliche Gesicht geritzt hat, gekonnt zu verbergen.
Nach und nach wechselt in den Bars die Beleuchtung, die DJ's nehmen ihre Anlagen in Betrieb und die erste Crew Bargirls bevölkert noch etwas lustlos die Catwalks um die noch spärlich vorhandenen Gäste zu ermuntern. Langsam erhebt sich auf dem Nana Plaza die allabendlich gleiche Geräuschkulisse, tausendfacher Widerhall der Musik und der Stimmen an den umgebenden Wänden.
In der Hollywood Stars auf dem 2nd floor beginnt das Eröffnungsritual. Breitbeinig stehen die Mädchen aufgereiht entlang des Ganges, ihre Rücken dem Eingang zugewandt, das vorderste Mädchen schwenkt die Arme, in ihren Händen hält sie einen großen hölzernen Penis. Mit einem Jubelschrei lässt sie in los und er gleitet zwischen den gespreizten Beinen der Mädchen Richtung Ausgang, wobei das letzte Mädchen ihn aufnimmt und jeweils drei mal Türrahmen und Bogen mit dem stilisierten Holzpenis abklopft. Vor der Casanavo Bar stylen sich derweil die Ladyboys, eigentlich scheinen sie nie etwas anderes zu machen, als sich den ganzen Abend zu stylen.
Aber trotzdem hat dieser Abend etwas Besonderes, etwas, was nur einmal im Jahr statt findet. Es ist der 12. August, Muttertag, oder Wan Mae, wie die Thais den Geburtstag ihrer Königin benennen. Es ist ein besonderer Tag, an dem das sonst übliche Treiben eine Unterbrechung erfährt. Auf den umlaufenden Balustraden der beiden Obergeschosse werden überall Kerzen aufgestellt, eine neben der anderen und entzündet. Wie auf Kommando erstirbt die Geräuschkulissen und die Bargirls versammeln sich vor den Türen ihre Etablissements. Um Punkt 20 Uhr erfüllt ein lieblicher Gesang, ein Choral aus Hunderten von Mädchenkehlen Nana Plaza, ein kleines Ereignis, dass mir heiß-kalte Schauer der Faszination und Rührung über den Rücken jagt. Es sind kurze 2 Minuten voller Harmonie, Verbundenheit, Ergebenheit und Ehrerbietung gegenüber dem Königshaus und der Königin, die auf diese Art jährlich ihre Ehrerweisung ihrer sie liebenden Untertanen bekommt. Kurze zwei Minuten ohne Neid, Hass, Missgunst und Konkurrenz, zwei Minuten welche die Kluft zwischen Armut und Reichtum, einem Leben voller Saus und Braus und einem Leben an der Grenze der Erträglichkeit verschwinden lassen, zwei Minuten, die ich Zeit meines Lebens wohl nicht mehr vergessen werde.
Zwei Minuten, die aber ebenso schnell vergangen waren, nach denen übergangslos die Geschäftigkeit wieder einsetzte, Girls, die zurück in ihre Bars drängten, und die Musik erneut Nana Plaza erfüllt. Wie sehr sich das Schicksal aller gleicht, die hier arbeiten, ihre Körper in aufreizend schlängelnden und wiegenden Bewegungen um die chromglänzenden Stangen winden. Nur um die Aufmerksamkeit lüsterner Männer auf sich zu ziehen, bereit, ihm diesen für eine Nacht zu geben. Jede Nacht lehnen sie sich an die größte Lüge des Lebens, jede Nacht halten sie sich daran fest um jeden Morgen der Enttäuschung neu ins Auge zu sehen. Hoffnung ist ihre Lüge, Hoffnung trägt ihr Leben. Jede Nacht Hoffnung, genug Geld zu verdienen, um sich das eine oder andere leisten zu können, Geld nach Hause zu den Liebsten und dem Kind zu schicken, oder auch nur, um die Geltungssucht ihres thailändischen Lovers zufrieden zu stellen, dem es nicht das geringste ausmacht als Gigolo und Pimp aufzutreten und gnadenlos die Verdienste einsammelt, damit er sich ein Handy und ein Motorrad leisten kann und noch genug Geld übrig hat um es bei illegalen Glücksspielen zu verlieren. Aber auch Hoffnung, an einen farang zu geraten, der Gefallen an ihnen findet, der ebenfalls auf der Suche nach etwas ist, was er schon selbst verloren glaubte und hier zu finden erhofft. So finden sich hier merkwürdige Paarungen zusammen die weite Strecken unterschiedlich langer Wege zusammen gehen werden, der eine weil er glaubt Verlorenes wieder zu finden und auf der Suche nach Geborgenheit und Liebe, die andere in der Hoffnung auf eine gesicherte Existenz, bereit, dafür zu geben, was verlangt wird.
So vergeht langsam die Nacht, die Bargirls gehen ihrem alltäglichem Geschäft nach, die Showgirls spulen ihre abstrusen Shows ab, welche der lokalen Polizei ein nicht unbeträchtliches Nebeneinkommen bescheren, da diese Shows verboten sind. Aber gegen eine entsprechendes Trinkgeld, dass monatlich schon mal 5 bis 6-stellige Beträge annehmen kann, werden großzügig beide Augen zugedrückt. Zu vorrückender Stunde werden die Bars zusehendst leerer, viele Mädchen sind ausgelöst, nur in den beiden Ladyboy-Bars herrscht bis zur Sperrstunde hektische Betriebsamkeit, da die Ladyboys Short Time vorziehen und spätestens nach einer Stunde wieder zurück sind. Gegen zwei Uhr macht die Polizei die Runde: Sperrstunde! Das erste mal, dass sie von einer Regierung konsequent umgesetzt wird. So verstummt fast schlagartig die Musik und die Lichter erlöschen. Die Bars leeren sich, und wie die meisten gekommen sind, so verschwinden sie auch wieder mit den vorfahrenden Taxen, lassen sich in ihre meist ärmlichen Appartements fahren, die sie mit 2 oder 3 Kolleginnen teilen. Viele bleiben aber auch noch in der Soi 4, um einen kleinen Imbiss mit Freunden einzunehmen oder gehen in die Diskothek vom Nana Hotel gegenüber um vielleicht doch noch einen Hit zu landen. Nachdem auch die Thermae, jener legendäre Nightspot an der Sukhumvit Soi 15 Opfer der Sperrstunde wurde, wird zunehmend auch wieder der einst führende Coffee Shop des Grace Hotels in der Soi Nana Nua beliebt. Die Politik der konsequenten Durchsetzung der Sperrstunde treibt halt ihre eigenen makabren Blüten.
Entlang der Sukhumvit bis hinunter zur Soi 15 pulsiert nun nächtliches Leben. Ruhelose Nachtschwärmer beleben nun die Straße, darauf hoffend, noch etwas ansprechendes zu erleben, nicht doch alleine nach Hause gehen zu müssen, Kartoys suchen noch einen letzten Freier zu erhaschen, versuchen in ihrer aufgesetzten reizvollen Art den ein oder anderen Farang zu betören, der vielleicht nicht mehr klarer Sinne ist zu erkennen, auf was er sich da einlässt. Immer noch säumen bettelnde Mütter mit ihren kleinen Kindern den Straßenrand. An den vielen Essensständen lassen sich Gäste nieder, finden zusammen zum Ausklang der Nacht. Die späte Nacht ist auch die Zeit, in der die gelben Mülltrucks die Straßen abfahren, um die Exkremente eines Molochs zu bergen. Erstes Leuchten am Horizont verkündet das Nahen eines neuen Tages. Licht, welches das Gesicht Bangkoks ungeschminkt erscheinen lässt, Licht, das auch die letzten Verbliebenen zurück in ihre Unterkünfte treibt.
So beginnt ein neuer Tag, neue Hektik und geschäftiges Treiben belebt erneut die Straßen, Menschen, die zur Arbeit streben, Kinder, die zur Schule gehen, Mönche, die ihre allmorgendliche Essensspende erhalten, und auch die wenigen, die übrig geblieben sind, kaum noch in der Lage, zu erkennen, dass ein neuer Tag mit einem neuen Pulsschlag städtischen Lebens begonnen hat.